Das letzte Teehaus

Das Teehaus

Liegt inmitten einer Salzwüste, umgeben von einer hellgrauen Mischung aus Staub, Sand und feinem Geröll. Der Boden wurde zu unregelmäßigen Platten mit tiefen Rissen dazwischen zusammengepresst und reicht in jede Richtung bis zum Horizont. Nach einigen Metern verschwimmen Boden und Himmel zu einer unscharfen Masse, die dem Auge weder Abwechslung noch Ruhe bietet.

Minimalismus und Bescheidenheit finden sich in jeder Ecke und in jedem Balken und in jedem Raum des Teehauses wieder. Außen wie innen besteht es aus Shōji-Wänden. Schwarzes Holz und helles, undurchsichtiges Papier. Ein großer, offener Raum mit einem flachen Tisch in der Mitte, umgeben von Sitzkissen, nimmt den größten Teil des Hauses in Anspruch. Davon abgetrennt sind ein paar Schlafkammern, die kleine Küche und ein Vorratsraum. Unter der hohen Decke verläuft längs der lange Hauptbalken, an dem Laternen und kleine Vogelfiguren aus Metall hängen.

Vorräte

  • 2d6: [5, 2] – Wolkennebel
  • 2d6: [3, 3] – Quarzkristall
  • 2d6: [5, 1] – uralte Muschel
  • 2d6: [1, 2] – Kawakawa-Blatt
  • 2d6: [6, 6] – Trockener Salbei

Tag 5

  • Tage: 5
  • Besucher: 1d6: 5: Kundschafter †
  • Wetter: 1d6: 2: Schwerer blauer Nebel
  • Stimmung: Melancholisch
  • Tee: Gumboot Tee

Keinem meiner Besucher fällt jemals auf, dass keine Sonne scheint. Wie auch? Ein dunstiges Leuchten umgibt uns den ganzen Tag und die ganze Nacht. Wie Nebel, der ein altes Moor beherrscht, lässt der Dunst alle Details verschwimmen und verschwinden. Heute gibt es tatsächlich Nebel. Dicken, schweren, blauen Nebel, der das sonst zu helle Leuchten in ein trübes Licht verwandelt.

Mein Besucher läuft langsam auf das Teehaus zu. Ich habe lange aufgehört, mich zu fragen, wie sie es finden. Keine Straße, kein Pfad, kein Schild weist ihnen den Weg, aber alle finden zu mir. Ich öffne die großen Außenwände, um den leichten Luftzug durch den Teeraum ziehen zu lassen und die Wärme etwa erträglicher zu machen. Dann hänge ich das Windspiel auf. Auch wenn ihnen die fehlende Sonne nie auffällt, spätestens in der Nacht bemerken sie, dass es hier keine Geräusche gibt, außer denen, die sie selbst verursachen. Das kleine, hell klingelnde Windspiel hilft ihnen, nicht nervös zu werden, selbst wenn sie die Stille gar nicht bemerken.

„Willkommen, Kundschafter!“, grüße ich ihn. Ich weiß immer, wer sie sind. „Tretet ein, ich koche uns Tee. Wollt ihr etwas Wasser, um den Staub abzuwaschen?“

„Danke. Ja. Ich hätte es mir hier anders vorgestellt. Sagt ihr mir, wie es weiter geht?“

Ich führe ihn zu einem der Sitzkissen am schwarzen Holztisch. Er setzt sich, ohne ein Gefühl zu zeigen. Manchmal frage ich sie, wie weit sie gelaufen sind, aber ihre Antworten sagen mir nichts. Bevor das Wasser kocht, nehme ich etwas davon ab und reiche es ihm mit zwei Tüchern, damit er sich waschen kann. „Der Tee ist gleich fertig, woran erinnerst du dich als Letztes?“ Er schaut mich lange an. Ich spüre seine Blicke in meinem Rücken, während ich den Tee aufgieße.

„Ich war mit meiner Frau an der Steilküste wandern. Das machen wir am liebsten. In der Sonne die Küste entlang bis nach Southampton. Unterwegs gibt es immer wieder Neues zu sehen, immer wieder einen neuen Weg zu entdecken. Hier gibt es auch Neues zu sehen“, er lächelt mich schwach an. Als ob ich getröstet werden müsste. „Das ist schön“, schiebt er nach einem kurzen Augenblick nach.

Ich lege meine Hand auf seine. Sie ist noch feucht vom Wasser und glatt. Nicht kräftig, aber auch nicht schwach. Ich drücke sie mitfühlend, während er den Kopf sinken lässt und ins Leere starrt. Mit einem etwas kräftigerem Druck stehe ich auf, um das Wasser herauszubringen, dann gieße ich uns Tee ein. Schweigend trinken wir einen großen Becher. „Mehr?“

„Ja. Gerne, sehr gerne.“ Er sieht etwas besser aus, weniger grau, weniger weiß, mehr Rosa.

„Du bist ein Kundschafter, ein Finder von Wegen?“

„Ja, immer auf der Suche nach einem neuen Weg, immer zurück einen anderen als hin.“

„Erzähl mir von deiner Reise zum Teehaus.“

Ein Schatten huscht über sein Gesicht. Kurz, aber tief und dunkel. „Das war der seltsamste Fehltritt meines Lebens. Ich bin über einen Stein gestolpert und hingefallen. Kurz war alles schwarz, dann lag ich in dieser Wüste. Ich dachte, ich hätte mir den Kopf angeschlagen und gleich würde sich alles klären, aber der Nebel blieb. Und ich habe auch keine Beule. Also stand ich auf und sah mich um. Nichts. Nichts, nur der Weg, der zu deinem Teehaus führt. Ein sehr schönes Teehaus übrigens.“

Ich lächele leise und denke, dass es hier keine Wege gibt. Aber du bist der Kundschafter, ich bereite Tee.

Er sieht in meinem Lächeln wohl Freude über sein Kompliment und fährt fort. Nicht fröhlicher, aber leichter, als würde eine Last langsam von ihm abfallen. „Ich habe so eine Wüste noch nie gesehen, aber der Weg war leicht zu finden und ich wollte ihn nicht verlassen. Mir ist heute schon genug zugestoßen.“ Wieder guckt er nach unten, dann schaut er mir direkt in die Augen und sagt: „Danke für den Tee und die Erfrischung. Ich möchte jetzt mehr von dieser Welt erkunden.“

Wir stehen auf und reichen uns, vorsichtig lächelnd, die Hände. Er zieht weiter. Ist es die Richtung, aus der er gekommen ist? Ich wasche das Geschirr ab.

Tag 13

  • Vergangene Tage: 1d6+2: 8
  • Besucher: Ausgestoßener †
  • Wetter: 1d6: 6: Sanfte Sonnenstrahlen
  • Stimmung: Ruhe
  • Tee: Tee der Fröhlichkeit

Viele Tage vergehen, ohne dass ein neuer Besucher erscheint. Oder sind es Wochen? Es gibt keinen Unterschied für mich, nur meine Gäste denken oft in diesen Kategorien. Zeit, Schicksal, Glück, Leid, permanent ist nur die Veränderung und das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden.

Mein nächster Besucher nährt sich langsam dem Teehaus. Immer wieder geht sein Blick nach links und rechts, aber ich bin mir nicht sicher, dass er etwas sucht oder auch nur glaubt, etwas finden zu können. Ich erkenne etwas von meiner Einsamkeit in ihm, aber im Gegensatz zu mir ist er nicht für die Einsamkeit geschaffen. Er gehört zu jenen, denen das einsame Leben auferlegt wurde und die ihre Not zur Tugend machten. Ein Tee der Fröhlichkeit wird uns beiden guttun.

„Willkommen, Ausgestoßener!“, er sieht mich an und legt den Kopf schief, als versuchte er, mich in einem anderen Winkel zu sehen. Ich gehe auf ihn zu und nehme seine beiden Hände in meine. „Willkommen! Du hast etwas Wertvolles verloren. Was ist passiert?“ Wir gehen ins Haus und ich beginne, den Tee zu kochen.

„Verloren? Ja, so könnte man es nennen. Den Anschluss verloren, den Sinn verloren, den Tag verschenkt. Ja, das trifft es“, sagt er, während ich in der kleinen Küche arbeite. „Erst wollten sie mich nicht mehr, dann wollte ich sie nicht mehr. Niemanden mehr. Das habe ich verloren, die Menschen.“

Ich gieße uns Tee ein und wir warten, bis er etwas abgekühlt ist, ohne etwas zu sagen, blasen immer wieder ungeduldig über den Rand der Becher und nippen schließlich vorsichtig am immer zu heißen Tee.

„Es ist schön, einfach so mit jemandem einen Tee zu trinken, ohne Verpflichtungen, ohne dafür zu zahlen. Oh, muss ich dafür zahlen?“, er grinst verlegen.

„Du bist eingeladen.“

„Vielen Dank. Das beruhigt mich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich nicht mit Geld dienen kann“, sagt er lächelnd. Sein Lächeln wirkt ungeübt, aber intensiv. Als würde er gerne lächeln, aber nicht oft die Gelegenheit dazu haben.

Auch ich lehne mich lächelnd zurück. Ich mag Fröhlichkeitstee. „Wie hast du meinen letzten Besucher gekannt?“

„Nur flüchtig, sehr flüchtig. Wir trafen uns auf der Scarborough-Messe, spät im Sommer. Er versuchte mir irgendetwas zu verkaufen, ich weiß nicht mehr was. Versuchte es links herum und rechts herum auf alle erdenklichen Wege. Irgendwann sagte ich, dass ich nur hier sei, um etwas unter die Leute zu kommen und mir nichts leisten könne, dass ich mich aber reicher fühlte, seit er sich soviel Mühe mit mir gab, und wir lachten beide laut.“

Ich lachte mit. Dann lachten wir noch etwas länger und er sagte: „Soviel habe ich lange nicht mehr gelacht.“

„Du hast kürzlich etwas begriffen. Was war das?“

Er überlegte kurz, dann pfiff er den Refrain von Scarborough Fair und sagte schließlich: „Petersilie. Wir enden alle als Petersilie, egal wie viel Petersilie wir im Leben schon bekommen haben. Oder nicht bekommen haben.“

Wir prusteten vor Lachen.

Am nächsten Morgen macht er sich auf den Weg. Ich bin zufrieden. Er auch.

Tag 19

  • Vergangene Tage: 1d6+2: 6
  • Besucher: Diplomat ☙
  • Wetter: 1d6: 1 Veilchenblauer Nebel
  • Stimmung: Schmerzlich
  • Tee: Trank der Erinnerung

Er steht plötzlich vor mir und ich heiße ihn mit meinen feuchten Augen und nur einem halben Lächeln willkommen. Sehr höflich entschuldigt er sich für sein plötzliches Erscheinen und fragt, ob es hier eine schöne Möglichkeit für einen Spaziergang gibt. Ich stoße ein kurzes Lachen aus, das ebenso schnell endet, wie es begann und lade ihn in mein Haus ein. Wir scheinen beide froh zu sein, den schweren Nebel zu verlassen und ich schließe die leichten Türen, um ihn endgültig auszusperren. Innen zünde ich die Laternen an, stelle zusätzlich ein paar Kerzen auf. Das gelbe Licht erwärmt nicht nur den Raum und ich frage meinen Gast, was er unvollendet zurückgelassen hat. Fast alle denken, etwas nicht zu Ende gebracht zu haben.

Er schweigt lange, bevor er mir ruhig, sachlich von seinen Vorbereitungen für ein Treffen mit diesen und jenen Männern erzählt. Die Namen sagen mir nichts, wie sie mir nie etwas sagen, aber sie sind wichtig für ihn und wichtig für seine Welt. Er spricht von den Vorbereitungen, die vor jedem Treffen so wichtig sind und, nur in einem Nebensatz, davon, wie es manchmal nicht die großen Sachen sind, sondern die kleinen, die es aushaltbar machen und wenn es bloß mehr davon gegeben hätte. Er kann sehr lange sprechen, ohne sich zu unterbrechen, ohne nach Worten zu suchen. Ich zerstoße Quarzkristall und gebe ihn in das kochende Wasser. Der Effekt ist jedes Mal … aufwühlend und ich bin wie immer froh, dass nichts über den Kesselrand blubbert.

Der Diplomat schaut mich über den stark dampfenden Becher hinweg an und hebt eine Augenbraue. Ich versichere ihm, dass es schmecken und ihm dadurch nichts zustoßen wird. Er bemerkt trocken, dass es auch etwas mehr als eine dampfende Flüssigkeit bräuchte, um ihm etwas Signifikantes zustoßen zu lassen. Oh, ein Fauxpas. Ich verziehe schmerzhaft das Gesicht und er kichert mit verschmitzter Miene. Ich proste ihm zu und wir beginnen zu trinken. Dieser Trank sieht immer heißer aus, als er tatsächlich ist.

Sanft, indirekt komme ich auf die kleinen Sachen zurück, die so oft übersehen werden, aber eigentlich die Hauptsache sind. Er überlegt kurz, dann schüttelt er den Kopf und sagt: „Das ist alles vorbei, aber an eine Sache habe ich in der Tat seit Jahren, vielen Jahren, nicht gedacht“, und berichtet eine Anekdote aus seiner Zeit als Junior-Attaché in Irgendwo. Ich erkenne, wenn sie mir die Wahrheit sagen, aber nicht das, was sie eigentlich berichten wollen und er weiß, dass ich es erkenne. So tanzen wir umeinander, mit Worten statt mit Schritten, bis er sich, sehr höflich, für meine Gastfreundschaft und für meine Gesellschaft bedankt. Dann fragt er, ob es hier eine Möglichkeit gibt, einen schönen Spaziergang zu machen und ich lächele.

Tag 23

  • Vergangene Tage: 1d6: 4
  • Besucher: Kaiser ☙
  • Wetter: 1d6: 1 Veilchenblauer Nebel
  • Stimmung: Schmerzlich
  • Tee: Tee der Distanz

Das Wetter ist immer noch furchtbar. Über allem liegt dieser blass-bläuliche Nebel. Es schmerzt, in die Weite zu sehen und nur drinnen zu bleiben ist auch nicht besser. Ich glaube, das Wetter will mir etwas sagen, und ich weiß, dass ich es nicht hören möchte. Aber heute ist es noch nicht so weit. Heute bekomme ich hohen Besuch. Sehr hohen. Es ist schwierig, abzuschätzen, wie diese Begegnungen verlaufen. Oft sind diese Menschen nicht einfach, weil ihnen die Erfahrung mit dem Leben der anderen fehlt.

Er sieht umgänglich aus, nähert sich meinem bescheidenen Haus mit sicheren Schritten und schaut sich interessiert alles an. „O-genki desu ka, Tenno Heika?“, frage ich sehr höflich und verneige mich tief. Wenn du dich schon verbeugst, verbeuge dich tief.

„Ich fühle mich besser als ich es sollte, meiyo aru hosutesu“, antwortet er ebenso höflich.

Ich richte mich auf und lächle ihn an, dann öffne ich die Tür zum Teehaus und bitte ihn herein. Er nimmt Platz und ich entschuldige mich dafür, die Zeremonie nicht zu beherrschen, während ich den Tee der Distanz vorbereite. Es ist mein letztes Kawakawa-Blatt, aber es ist der richtige Tee für ihn. Und für mich. Er wischt meine Entschuldigung mit einer ungeduldigen Handbewegung weg und sagt, dass die Zeremonie ein Weg ist und dass es viele andere gibt. „Du hast kürzlich etwas begriffen“, sage ich, zu einer persönlicheren Anrede übergehend. „Was war das?“

Er schweigt einen Augenblick und denkt nach, dann sieht er mich direkt an und meint: „Es gibt mehr als ich gedacht hätte. Es geht weiter als ich gedacht hätte. Was hätte ich alles tun können. Was hätte ich alles tun sollen? Ist es zu spät? Was gäbe ich dafür, es nachholen zu können.“

Er holt Luft und öffnet den Mund, aber dann schweigt er doch. Während ich ihn ansehe, ringt er sichtlich mit sich, um dann doch nichts zu sagen. Er muss sehr aufgewühlt sein, wenn seine Emotionen so sehr nach draußen dringen.

Ich serviere den Tee so gut ich kann und er nickt mir dankbar zu. Wir heben die Becher und trinken. Schweigend trinken wir unsere Becher aus. Sehr wenige Menschen halten dieses Schweigen aus, aber er hat damit keine Probleme. Der Tee wirkt schnell und ich spüre, wie der Schmerz in mir abnimmt. Nein, er wird nicht weniger, aber er macht mir nicht mehr so viel aus. Ich kann ihn jetzt von außen betrachten, ihn ignorieren, wenn ich möchte. Möchte ich? Ich weiß es nicht.

„Was möchtest du tun?“, fragt er mich und ich erschrecke etwas. Es ist selten, dass die Kunden mich das fragen und ich antworte ehrlich: „Dir den Weg so leicht wie möglich machen.“

Er lächelt, wobei sich sein rechter Mundwinkel höher hebt als sein linker. Einen Moment kann ich ihn sehen, wie er als junger Mann aussah. „Danke“, sagt er nur und trinkt seinen Tee aus. Als ich nicht aufstehe, um mehr anzubieten, seufzt er und steht auf.

„Hättest du Antworten für mich, wenn ich Fragen hätte?“

Ich schüttele langsam den Kopf und senke den Blick. Er wartet, bis ich ihn wieder ansehe und verbeugt sich. Nur ein bisschen, aber ich weiß die Geste sehr zu schätzen. „Danke für den sehr guten Tee“, sagt er und öffnet die Tür selbst. Er wird zurechtkommen, da bin ich sicher.

Tag 24

  • Vergangene Tage: 1d6: 1
  • Besucher: Der Verhüllte
  • Wetter: 1d6: 5: Anhaltender Nieselregen
  • Stimmung: Erschöpft
  • Tee: Tröstender Trank

Ich liege schon den ganzen Morgen auf einer flachen Liege, mit Kissen im Rücken und sehe durch die geöffneten Wände in den Nieselregen hinaus. Mein gestriger Besucher hat mich mehr angestrengt, als ich gedacht hätte und der beständige Regen verhilft mir auch nicht zu Energie. Apathisch hänge ich meinen Gedanken nach, als ich am Horizont eine Figur erspähe, die schnurstracks auf mein Teehaus zuhält. Ich seufze tief, stehe aber auf und schlüpfe in meinen dünnen Seidenkimono. Damit werde ich besser angezogen sein als mein Gast in seinen Fellen.

Ich schließe die Türen, betrüge mich selbst mit der Hoffnung, dass er einfach vorbeigehen wird, als er schon ruhig spricht: „Schließt ihr die Türe vor mir? Soll sie mich aufhalten?“

Ich seufze, öffne die Türe und bitte ihn herein. Nachdem er sich gesetzt hat, sage ich: „Was du suchst, wirst du hier nicht finden.“

Er lächelt müde, und spricht von all den Lebewesen, die er getötet hat. Mächtige Stiere, den Hüter des Waldes. Die Löwen. Dann sieht er mich direkt und durchdringend an. Wie die Katze, die auf die Bewegung der Maus wartet, um das tödliche Spiel zu beginnen.

Ich erschauere, fühle mich ungeschützt unter meinem dünnen Kimono, während seine gegerbten Felle ihm den wilden Schutz eines Raubtieres verleihen. Eleganz ist keine Verteidigung gegen diese archaische Macht und ihre unterschwellige Androhung von Gewalt. Mein lautes Schlucken erfüllt den Raum und ich stehe auf, um Tee zu kochen und von mir abzulenken. Dann frage ich ihn: „Hat es dich froh gemacht? Wie lange wanderst du schon durch die Steppe? Sind es Regentropfen oder Tränen auf deinem gegerbten Gesicht?“

„Nichts hat mich froh gemacht, seit ich meinen Freund suche. Unendlich lange und überall. Tränen siehst du auf meinem Gesicht, heiser ist meine Stimme davon, seinem Namen zu schreien. Sag mir, wohin ich gehen muss.“

„Wohin du gehen musst? Das Leben, das du suchst, wirst du sicher nicht finden! Tee und Essen kann ich dir geben, aber keine Antwort auf Fragen, die selbst die Götter nur durch ihre Taten beantworten, wenn überhaupt. Trost kann mein Tee dir geben. Nimm ein Bad und ich werde deine Felle waschen.“

Abrupt steht er auf und fragt: „Welchen Weg soll ich gehen? Welche Richtung einschlagen?“

„Ich weiß es nicht, denn niemand kam je zu mir zurück.“

Einen Moment blitzt Wut in seinen Augen auf und er scheint größer, noch größer in meinem einsamen Haus, als er ohnehin schon ist. Dann verlässt er wortlos das Teehaus und geht mit energischen Schritten davon.

Niemand kommt je wieder, niemand.

#solorpg

Update: 2023-03-26.

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