Die letzte Fahrt der Barcosa

2023-01-13 (Tag 14)

  • 1d6: 1 → Ereignisse
  • 1d6+8: 10 → Ein Mannschaftsmitglied geht schreiend über Bord. In ihrer Hand hält die Person das schwarze Tuch, das den Käfig der Händlerin bedeckte. Was ruft sie, während sie ins Wasser stürzt?
  • Unheilsuhr: ⬛⬛⬛⬛⬛⬛⬛ ⬛⬛⬛⬛⬛⬛ ⬛⬛⬛⬛⬛ +8 ⬛⬛⬜⬜ ⬜⬜⬜

Auf dem Weg zu den Javanern traf ich erstmal Gerrit, der im Moment andere Wachen schiebt als ich. Auch er sah blass aus. Auf dem Gang schob er sich mit einer fahrig entschuldigenden Handbewegung an mir vorbei, ohne mir ins Gesicht zu sehen.

„Hey, Gerrit!“

Er riss den Kopf hoch und sah mich mit großen Augen an. „Hey, wie steht’s?“

Ich setzte an, ihn mit einem einfachen „alles in Ordnung“ seiner Wege gehen zu lassen, beschloss aber, es mir nicht ganz so einfach zu machen und zog ihn hinter den nächsten Niedergang.

„Was glaubst du, wie es steht? Nichts steht! Hier bewegt sich alles in Richtung Untergang. Diese ganze vermaledeite Fahrt soll endlich zu Ende gehen. Bekommt ihr alle gar nichts mit?“ Ich erzählte wieder den ganzen Psalm: Fische, Stimmen, Musik, Flöten, Jamie, … „Fällt euch denn überhaupt nichts auf?“ Mittlerweile hatte ich Gerrit am Hemd gepackt und schüttelte ihn, als ob ich etwas Verständnis aus ihm herausschütteln könnte.

„Ja, die Fahrt steht unter keinem guten Stern. Aber dir scheint es ja gar nicht gutzugehen. Was sollen denn die armen Javaner damit zu tun haben?“

„Keine Ahnung. Deswegen gehe ich da jetzt hin und rede mit ihnen.“

„Viel Erfolg. Ich muss zu dieser komischen Händlerin und sie über Händler und Märkte auf Java ausfragen, hat der Kapitän gesagt. Keine Ahnung, warum er nicht Kuipers schickt. Hau rein.“

Sagte er und ich stand alleine in der Ecke.

Aus der Kabine der Javaner drang eine leise Unterhaltung. Ich öffnete die Tür ohne anzuklopfen und ging hinein.

„Kepiye carane bisa mbantu sampeyan?“

„Äh …“, verdammt. Ich blinzelte dreimal und guckte die beiden Männer mit offenem Mund an.

„Kann ich helfen?“, fragt einer der beiden mit leichtem Akzent.

Also beschloss ich, zum dritten Mal zu erzählen: Fische, Stimmen, Musik, Flöten. Die beiden lachten auf und luden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Immernoch lächelnd erzählten sie mir, teilweise etwas holprig, dass sie Künstler sind, was sich nicht ganz mit ihrer Abstammung verträgt, und dass sie sich gerne die Zeit vertrieben, indem sie sich Poesie vorlasen und dazu musizierten. Einer holte die Flöte mit ihrem Samtumschlag aus ihrer Schatulle und zeigte sie mir. Ich nahm sie vorsichtig in die Hand und betrachtete sie aus der Nähe. Perlmutt, ich fragte mich, aus welcher Muschel man so etwas schnitzen konnte. Anscheinend war sie recht alt und ein Geschenk des Großvaters des Flötenspielers, einem Mystiker. Sehr religiös und außerordentlich freundlich. Meinem Gegenüber brach die Stimme, als er von einem alten weisen Mann erzählte, der seinen Lebtag lang niemandem etwas zu leide getan haben soll. Ich fühlte mich wieder hilflos, beschloss aber noch einmal nachzubohren und zu fragen, warum die Melodie der Flöte so perfekt zu meiner Halluzination passte. Die beiden zuckten mit den Schultern und einer fragte, ob ich etwas Tee möchte, der würde ihm immer guttun, wenn er unter Stress stünde. In diesem Moment platzte ein Matrose herein und rief „Gerrit …“

Wir sprangen auf, und der Seemann rief nur: „Komm!“, und verschwand im dunklen Flur. Ich folgte ihm mit einem ganz schlechten Gefühl im Bauch und bemerkte nur am Rande, dass der Gang schon wieder nicht beleuchtet und zappenduster war.

Wir hetzten an Deck, wo viele Seemänner bleich und starr und fassungslos über das Heck starrten. Ich griff den Matrosen, der mich geholt hatte, am Arm und fragte ihn, was passiert sei. Er sah mich mit geröteten Augen an, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. In diesem Moment legte de Ruyter mir seine Hand auf die Schulter.

Gerrit war über Bord gesprungen. Nicht gegangen. Gesprungen. Ich sackte zusammen und brach in Tränen aus. Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Deck kauerte, de Ruyters Hand auf meiner Schulter, und einfach aufgab. Nach einer Weile konnte ich nicht mehr. Meine Bauchmuskeln schmerzten und der Ozean meiner Tränen versiegte. Jemand drückte mir einen Becher in die Hand und ich nahm einen tiefen Schluck. Rum. Ich trank den Becher leer.

De Ruyter und ein Matrose brachten mich in eine Kabine und legten mich in ein Bett. Ich schloss die Augen und die beiden fingen an, sich leise zu unterhalten. Als sie die Kabine verließen, fragte der Kapitän: „Was er wohl gemeint hat, als er »Sie lebt« rief? Und was war dieses Stück Stoff?“

Ich fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf.

Weiter mit: Kalt und nass.