1d6+8: 14 → Die Mannschaft stürzt sich ins Meer, sie wollen dich
mitnehmen. Wehrst du dich?
Unheilsuhr: ⬛⬛⬛⬛⬛⬛⬛ ⬛⬛⬛⬛⬛⬛ ⬛⬛⬛⬛⬛ ⬛⬛⬛⬛ +10 ⬜⬜⬜
1d6: 3 → Einsicht: Der alte Gott ist tot. An wen sind deine Gebete jetzt
gerichtet?
Als ich aufwachte, stand die Sonne senkrecht am Himmel. Ich sah mich in der kleinen Kabine um. Alles ordentlich aufgeräumt, keine persönlichen Gegenstände, nichts. Also Lauris Kabine. Irgendwie passend. Ich spielte die letzten Ereignisse nochmal in meinem Kopf ab, als de Ruyter die Kabine nach einem kurzen Klopfen betritt und sich auf den kleinen Stuhl neben dem Tisch der Navigatoren setzt.
„Geht’s besser?“
„Ja, danke. Es wird schon“, sage ich und setze mich aufrecht.
„Sachte, Junge, ganz sachte.“
„Kapitän, wollen Sie die Fahrt wirklich fortsetzen?“, frage ich vorsichtig.
De Ruyter guckte mich einen Moment nachdenklich an, dann sagte er: „Ja.“
Ich wartete auf eine Erklärung, die nicht kam, und widerstand dem Impuls, zu versuchen, ihm zu erklären, was alles passiert war, und was ich gesehen und gehört und erlebt habe. Warum sollte er mir jetzt mehr Glauben schenken als vor ein paar Tagen.
„Jemand wird dir gleich etwas zu essen bringen. Ruh dich aus. Du kannst so lange in der Kabine bleiben, wie du möchtest“, sagte der Kapitän, stand auf und verließ die Kabine.
Einen Augenblick später klopfte es und auf mein „herein“ kam der Schiffsjunge mit einer Suppenschale und einem Holzlöffel durch die Tür. Er drückte mir beides in die Hand, guckte betroffen und ging wieder zur Tür. „Danke“, rief ich ihm dankbar nach.
Ich hielt meine Nase an die heiße Suppe und atmete tief ein. Fischsuppe, das Beste was die Kombüse zu bieten hatte. Dickes weißes Fleisch schwamm nicht nur in der Brühe, sondern legte sich aneinander und übereinander. Es war kaum Platz für Brühe in der Schüssel. Ich glaube, ich hatte noch nie soviel Festes in meiner Suppe. Smutje ist der Beste. Ich löffelte etwas Einlage und Brühe aus der Schüssel, blies vorsichtig darüber und probierte die Suppe. Herrlich. Ich machte mich mit einem Gusto ans Werk, den ich mir nicht zugetraut hätte. Aber der Matrose schläft und isst, wenn er kann. So war es und so wird es immer sein.
Mit jedem Bissen, kehrten meine Lebensgeister zurück. Ich stellte die leere Schüssel auf den Tisch, seufzte und verließ die Kabine in Richtung der Javaner.
Beide sprachen mir ihr Mitgefühl aus und wirkten so aufrichtig, dass ich ihnen glaubte. Ernst nahm ich ihre Beileidsbekundung entgegen und brachte das Gespräch zurück zur Flöte und ihren Besitzern. Ich fragte unbeholfen, ob es möglich sei, dass die Flöte einen Einfluss auf die Menschen und auf die Geschehnisse an Bord haben könnte und sie erklärten mir, dass es Bestandteil ihres Glaubens ist, dass den Dingen eine Seele innewohnt, und dass wir mit der Natur und den schönen Dingen kommunizieren können. Sie waren aber auch der festen Überzeugung, dass diese Flöte nur Gutes spricht und sie sich nichts anderes vorstellen können. Wir verfielen in Schweigen, und ich überlegte, was die See wohl Gerrit erzählt hat, oder Lauri, von der ich sicher bin, dass sie als erste dem Ruf des Wassers gefolgt ist.
Plötzlich schüttelten die beiden sich sichtbar aus ihren Überlegungen und fragten mich, wie sie mir helfen könnten. Ich bat, etwas auf der Flöte vorgespielt zu bekommen. Die Flötenmusik, so unheimlich sie auch war, war das einzig schöne, was ich in den letzten Tagen erlebt hatte, und ich wollte sie nochmal hören. Der Javaner kam meinem Wunsch gerne nach und holte die Flöte aus ihrer Schatulle, während wir uns setzten. Er begann eine ruhige, getragene Melodie zu spielen. Weich und in einem wiegenden Takt begann die Musik mich einzulullen, wie der Gesang der Sirenen seit Jahrtausenden die Seefahrer einfängt. Ich begann wegzudriften, als mich etwas in die Realität zurückriss. Schritte auf dem Gang, viele Schritte, die in Richtung Deck marschierten. Meistens bedeutet es nichts Gutes, wenn sich viele Matrosen auf den Weg nach oben machen. Ich stand auf, bedankte mich artig beim Künstler und ging los, um zu sehen, was vor sich ging. Ich tastete mich problemlos durch den dunklen Flur zur Treppe. War hier eigentlich nie Licht?
Den Anblick, der sich mir oben bot, werde ich nicht mehr vergessen. Die Matrosen gingen ruhig zur Reling, kletterten hinauf und sprangen in die See. Ich starrte und starrte, unfähig, einen Gedanken zu fassen, unfähig, etwas zu unternehmen, während zwei weitere Matrosen in die See sprangen. Erst als zwei Seemänner ihre Arme um mich legten, als würden wir nach einer langen Zeche in einer Hafenkneipe gegenseitig gestützt durch die Nacht wanken, kam ich so weit zu mir, dass ich begann zu denken. Die beiden guckten mich ruhig an und sagten leise: „Wir auch, wir auch.“
Ich erschauerte und meine Beine gaben nach. Zusammensackend entglitt ich der Umarmung meiner Kameraden und landete auf dem Deck, wo ich, auf allen vieren, den ungeordneten Rückzug antrat. An der Treppe traf ich de Ruyter, der mir hoch half und mir lächelnd sagte: „Wir auch.“
Ich stieß ihn mit aller Kraft von mir, rutschte die Treppe runter und rannte in Lauris Kabine, wo ich die Tür zuwarf, verriegelte und mit dem Rücken die Tür stützend zu Boden ging. Ich fing an, zu beten. „Nicht mich, nicht mich, nicht mich.“ Zu wem ich betete? Ich weiß es nicht.