Elegy Nacht 4

Jagen

Ich erwache nach dem ersten erholsamen Schlaf seit Tagen. Die zerrissenen Klamotten, in denen ich geschlafen habe, erinnern mich an die Nacht zuvor und ich kichere. Verhalten wie ein 200 Jahre alter Vampir, dem noch nicht einmal die Zähne gewachsen sind. Ich muss es besser machen. Die Schusswunden haben sich natürlich geschlossen, aber das Hemd und die Hose sind nicht mehr zu reparieren.

Mit geschlossenen Augen konzentriere ich mich auf meine Heilung, als jemand mein Zimmer betritt und mich gleichzeitig ein starker Hunger überkommt. Bevor ich weiß, was ich tue, werfe ich mich auf den Eindringling und versuche im an die Kehle zu gehen.

Eine Sekunde später liege ich in einer Ecke des Zimmers und schaue zu Quinn auf. Er legt den Kopf schief und fragt: „Harter Tag?“

„Hartes Leben“, keuche ich und lasse mich zu Boden sinken. „Sorry.“

„Nächstes Mal werde ich lauter klopfen.“

„Du hast geklopft?“

„Geht es dir gut?“

„Ich brauche Frühstück. ein großes Frühstück. Ich glaube, ich muss dich versetzen.“

„Wir können noch die ganze Nacht schießen gehen. Hast du Lust, mit mir zu jagen?“

Ich überlege einen Moment, was meine Optionen sind, und Quinn setzt nach: „Du wirst es nicht bereuen.“

„OK, lass uns losgehen.“

Im Auto telefoniert Quinn mit dem Schießstand und verschiebt unseren Termin um drei Stunden. Meine Nacht scheint verplant zu sein. „Wohin fahren wir?“, frage ich, als er fertig ist.

„Wir suchen Frühstück für zwei. Du siehst so aus, als bräuchtest du eine vollständige Mahlzeit?“, sein forschender Blick macht es zu einer Frage.

„Zwei kleine wären gut.“

„Warte ab, was ich serviere.“

Wir parken an der Grenze von Waterfront und dem Industriegebiet vor einer Billardhalle. Eine miese Gegend voller graffitibeschmierter Wände und Treppenhäuser, die in dunkle, unbekannte Tiefen führen. Quinn macht es sich bequem und entspannt sich. Ich folge seinem Beispiel.

Nach nicht mal einer Stunde richtet er sich auf und zeigt auf zwei Männer, die die Billardhalle verlassen. „Allen und Jayden, zwei sehr unvorsichtige Zuhälter, die gerne ihre eigene Ware vernaschen und dabei nicht zimperlich sind. Die beiden Brüder haben mehr Leid verursacht als viele junge Vampire, die ich kenne. Dabei hätten sie es noch nicht einmal nötig. Beide haben BWL studiert und lange ein einträgliches Maklerbüro betrieben.“ Quinn startet den Motor, überholt die beiden und biegt zwei Straßen später rechts ab, dann nochmal. „Lass uns hier warten. Die beiden werden ein paar ihrer Pferdchen checken und dann eine Abkürzung durch diese Gasse nehmen, um zur Waterfront zu kommen. Fragen?“

„Beschäftigst du dich immer so intensiv mit deinem Essen?“

„Ich töte die Bösen“, sagt er leiser als gewohnt und ohne mich anzugucken.

Wir gehen in die Gasse, orientieren uns links und rechts und verschmelzen mit den Schatten zwischen Wänden. Treppen, Müll und armseligen, ungepflegten Hecken. Kurz darauf erscheinen die beiden.

Die beiden wissen nicht, was Ihnen passiert, als wir kurz hinter ihnen aus dem Schatten treten, sie packen und unsere Zähne in ihre Carotiden schlagen. Wir trinken sie leer und wie immer bin ich sofort danach niedergeschlagen.

Quinn sieht mich an und hat etwas wie Mitleid in seinen Augen. „Sie haben es beide verdient. Mehr, als du dir vorstellen kannst.“

Er legt seine Hände fest auf meine Schultern und sieht mir in die Augen. Etwas, das Vampire nicht oft tun, weil es schnell missverstanden werden kann. „Ich verstehe dich. Und ich gehe nicht mit jedem so Jagen. Glaub mir, die Welt ist jetzt ein etwas besserer Ort.“

Ich fühle mich in der Tat etwas besser, aber auf dem Weg zum Schießstand denke ich immer wieder an den leblosen Körper von Allen. Oder habe ich Jayden getötet? Hat es wirklich etwas verbessert? Hat sich irgendetwas an der Situation ihrer Mädchen geändert? Ich grübele, bis wir den Schießstand erreichen.

Schießen

Schweigend fahren wir durch die Nacht. Stille ist nichts Peinliches zwischen Vampiren. Im Gegenteil, ein 2.000 Jahre alter Schwätzer, der wortwörtlich, unendlich viele Anekdoten vortragen kann, ist schwer zu ertragen.

Ich fühle mich entspannt und schließe die Augen, konzentriere mich auf meinen geschundenen Körper un spüre wie die Heilung einsetzt.

„Geht es dir besser?“, fragt Quinn mit einem kurzen Blick zur Seite, während er schneller als erlaubt durch das leere Industriegebiet fährt.

„Ja, danke.“

„Wir sind gleich da. Hast du schonmal geschossen?“

„Nicht geplant.“

„OK, wir fangen mit Handfeuerwaffen an, dann gehen wir zu einem Gewehr über. Das wird eine schöne Ergänzung zu deinen Messern.“

„Meine Messer haben mir immer sehr gute Dienste geleistet.“

„Wie kommt es eigentlich, dass jemand in den letzten 200 Jahren nicht wirklich geschossen hat. In Amerika!“, er hebt fragend die Hände und guckt mich ehrlich interessiert an, nachdem er den Wagen abgestellt hat.

„Ich hatte einfach keine Zeit.“ Wir grinsen kopfschüttelnd und betreten den flachen Bau der Schießsporthalle.

„Hier im Gewerbegebiet ist es kein Problem eine Erlaubnis für eine 24 Stunden offene Schießanlage zu bekommen. Aber nach 20 Uhr dürfen nur »geladene Gäste des Clubs« hier schießen. Das sind wir“, ergänzt er hilfreich. „Hi Bailey!“

„Oh, ein Date, Quinn? Ich bin eifersüchtig.“ Die junge Vampirin grinst Quinn breit an.

„Du weißt doch, ich liebe die Abwechslung.“

„Ich wünschte, du würdest dich überhaupt mal entscheiden. Die hintere Bahn ist für euch reserviert. Ihr könnt von hier rein.“

Wir betreten den Schießstand durch eine kleine Tür neben der Theke. Drinnen riecht es scharf nach Schwarzpulver. Oder etwas sehr Ähnlichem. Die „Bahnen“ sind voneinander abgetrennte Einheiten, etwa so breit, dass zwei Personen nebeneinander stehen könne. Solange sie sich gut verstehen. Quinn beginnt mit der Sicherheitseinweisung und nach einer gefühlten Ewigkeit geht es ans Schießen. Eigentlich ans Stehen. Es dauert noch eine weitere Ewigkeit, bis wir uns durch drei verschiedenen Arten, beim Schießen zu stehen gearbeitet haben. Dann geht es endlich ans Abdrücken.

Vampire atmen nicht und verbrauchen auch keine Energie in ihren Muskel, jedenfalls nicht so wie Menschen, deswegen sind wir beim Schießen recht akkurat und mit Quinns ruhigem, sicheren Lehrstil erziele ich schnelle Erfolge. Nach zwei Stunden legen wir eine Pause ein und ich lerne, die Pistolen zu reinigen, dann schießen wir nochmal zwei Stunden, bis uns eine schrille Stimme unterbricht.

„Das ist der Arsch, der mich rumgeschubst hat!“

Es ist die zickige Adama von vorgestern, sie und ihre zwei Freundinnen im Schlepptau erscheinen Menschlich, bestimmt will das Trio noch feiern. Ich seufze innerlich und sage laut: „Ich habe dich nicht herumgeschubst, sondern dir eine ordentliche Tracht Prügel verpasst. Hat deine Mama dir eigentlich noch immer nicht den Mund mit Seife ausgespült?“

Die Vampirin fängt an sich aufzuplustern und gestikuliert wild, während ihre Freundinnen etwas verwirrt gucken und einen Schritt zurückfallen.

„Du solltest hier nicht mit geladenen Waffen durch die Gegend rennen, Schätzchen.“

„Und du bist?“, fährt sie Quinn an.

„Genervt. Dir wurde doch schonmal gesagt, dass man sich hier an die Regeln hält.“

Die Freundinnen gucken noch unsicherer und schielen in Richtung Büro, dass sich zwischen dem inneren Teil der Anlage und der Theke befindet. Unsere neue „Freundin“ ist aber weniger beeindruckt. „Und was willst du jetzt machen? Petzen gehen?“

„Warum eigentlich nicht? Aber komm, was hältst du von einer Wette? Ich wette, dass mein Kumpel hier jetzt sofort besser schießt als du. Und zwar mit der linken Hand.“

Die Zicke lacht. „Ok, der Verlierer kommt ein Jahr nicht mehr in diesen Schießstand.“

„Zwei Jahre.“

„Abgemacht. Ihr seid so blöd, wir haben doch genau gesehen, dass er das erste Mal hier ist.“ Das Trio klatscht einander in die Hände, eine Art koreografiertes High Five, das irgendwie faszinierend anzusehen ist. Bevor sie fertig sind, treffen sich Quinns und mein Blick. Ich hebe eine Augenbraue, er macht nur ein „alles paletti“ Gesicht.

Dann erklärt er die Regeln: „50 Meter, ein Magazin, Waffe nach Wahl, mein Freund hier schießt mit links. Frauen dürfen natürlich mit der starken Hand schießen.“

„Ich schieße auch mit Links, meinst du, ich bräuchte einen Vorteil, Chauvi?“

„Be my guest.“

Quinn fährt eine neue Zielscheibe ans Ende der Bahn und überlässt der Adama mit einer Verbeugung das Feld. Nach einem kurzen Augenblick bin ich an der Reihe.

Und tatsächlich schieße ich einen Mü besser als sie. Ich halte meine Überraschung unter Kontrolle, während unser Prinzesschen schäumt. Aber sie und ihre Entourage verlassen tatsächlich die Bahn.

Ich lehne mich gegen eine Wand und frage Quinn: „Gehst du auch auf die Rennbahn wetten?“

„Nur, wenn ich sicher wäre, zu gewinnen.“

Ich ziehe eine Augenbraue hoch, was mir wieder fast gelingt.

Quinn grinst „Du kämpfst seit 1000 Jahren mit zwei Messern, bist also definitiv mit beiden Händen gleich geschickt. Die Trulla pumpte Blut durch ihren Körper, das stört beim Schießen. Außerdem ist sie nicht wirklich zum Übern hier, sie und ihre Clique wollen gesehen werden. Sie hatte keine Chance.“

Ich schüttele den Kopf.

„Komm, lass uns einpacken. Morgen müssen wir den nächsten Schritt mit unseren Gästen planen.“

#solorpg

Update: 2024-03-20.